Kochenbach und das Trikot aus den 80ern

Was man auf einer Ausfahrt so alles erleben kann.

Foto: Thomas Schmidt

Soll ich heute mal diese Kochenbach-Strecke mitfahren? Die RCB-Leute schreiben etwas von „abwechslungsreicher Strecke“. Aber wie, nur 45 km, aber 650 Höhenmeter? Und dann auch noch Gruppe 2 Pace! Das ist doch wieder so ein. dieser Auf- und Ab-Strecken, die dieser Ober-Guide Thomas gebaut hat, als wenn wir hier unbedingt Flandern spielen müssten! Fehlt nur noch, dass er wieder von Kopfsteinpflaster schwärmt.

Schon wieder stehen so viele Leute am Campus, und alle so jung. Die fahren in ihrem jugendlichen Überschwang gleich voll los und der Guide meint, der dürfe sie nicht aufhalten. Mal sehen.

Aha, sieben Leute in der Gruppe, zwei davon haben keine rasierten Beine. Und der eine mit seinem komischen 80er-Jahre Trikot: „PDM“. Und einem Stahlrahmen. Da kann ich doch locker mithalten, wahrscheinlich bin ich der Stärkste am Berg. Der Guide erzählt noch irgendwas von vorsichtig fahren und das letzte Drittel nicht unterschätzen… ich brauche diese Erzählungen nicht.

Schießbergweg, Küdinghoven: an der Kirche vorbei, kenne ich. Ich bleibe ganz locker. Immer diese alten Schienen mitten auf der Straße in Pützchen, und genau da muss man scharf nach rechts abbiegen. Vorne wird locker geplaudert. Ich bin hier hinten alleine, klar, ungerade Gruppengröße. Jetzt diese Straße, die wir sonst immer hochfahren, aber wir warten, da geht es jetzt wohl gerade aus, Gott sei Dank, nicht gleich den Berg hoch. Ist doch ganz nett hier, direkt am Wald entlang zu fahren. Da vorne das Wohngebiet ist auch schön gemütlich, amerikanisch aussehendes Haus im Wald. Holzlar. Die werden doch jetzt nicht diese „Hölle von Roleber“ hochfahren? Ein Scheiß-Ding ist das! Ich will hier nicht die Deutsche Meisterschaft fahren. Ach, nein – sie biegen links ab. Geht zwar auch hoch, aber nicht so steil. Puh, jetzt komme ich doch schon ins Keuchen. Und ich bin ganz hinten. Hoffentlich werde ich hier nicht abgehängt. Ich ziehe das jetzt durch, da vorne wird’s auch schon wieder flacher.

„Hoholz, da rollt’s“, höre ich mich rufen. Der Spruch ist zwar blöd, aber irgendwie muss ich mit der Gruppe mal ins Gespräch kommen. Zustimmung vorne, und der Guide lässt es auch locker rollen, offenbar war ich nicht der einzige, der vorhin ins Hecheln gekommen ist. Und tatsächlich: Es geht wieder runter! Schöne Aussicht hier, da oben die Kirche kenne ich, Rott heißt das Dorf. Aber da hoch? Glaub ich nich!

Pleistalstraße. Ziemlich viele Autos hier unterwegs. Gut, dass wir auf dem Radweg bleiben. Der Guide fuchtelt herum und ruft etwas von Wechseln, will wohl auch nicht die ganze Zeit hier im Gegenwind fahren. Also zwei Reihen vor, neben mir ist jetzt der Typ mit dem komischen Trikot. „Hallo.“ „Hi.“ Das Rad hat auch schon einige Jahre auf dem Buckel, und diese Übersetzung! Das sind doch nur sieben Gänge, sieht nach einem 23er-Ritzel aus. Wie der das alles wegdrückt.

Uthweiler. Ging da nicht mal der Bonn-Triathlon hoch? Ja, da vorne, der Guide schaut sich etwas nervös um und fuchtelt mit dem linken Arm. Ist auch nicht so einfach mit dem Linksabbiegen und den schnellen Autos. Geschafft! Pferdekoppel rechts, hier scheint es ruhiger zu werden. Was? Die fahren nicht die Tria-Strecke weiter, sondern biegen rechts ab. Mann, schnell zurückschalten, das ist jetzt aber heftig! Und wie sich das hoch weiter zieht. Jetzt geht der Trikot-Typ doch tatsächlich nach vorne, locker und gleichmäßig, noch nicht mal mit dem letzten Ritzel. Bin ich gleich abgehängt? Nein, auch die anderen sind wieder am Keuchen, auch der Guide. Er ruft etwas von „oben warten“, und schon hängt er ganz hinten. Der Trikot-Typ ist schon oben – und jetzt kommt er uns wieder entgegen, gibt sich betont locker und ruft mir zu: „Gleich bist du oben, schön gleichmäßig weiterfahren.“ Klugscheißer!

Westerhausen. Das scheint vorläufig der höchste Punkt zu sein, endlich. Keine Tempoverschärfung, die sind wohl alle etwas platt. Schönes kleines Sträßchen hier. „Rübhausen“, lese ich auf dem Schild. Bonn, Siegburg, Hennef – und Rübhausen, so stehts doch in der Strava-Karte. Eigenartig, das ist doch nur ein winziger Weiler! Die Wellen hier machen Spaß, und die Gruppe läuft gut. Jetzt geht’s auch wieder ein wenig runter.

Sand. Dass man an diesen Landstraßen immer so lange zum Überqueren warten muss. Na ja, Feierabend-Verkehr. Bei uns scheint’s auf einer ruhigen Straße weiterzugehen, schön. Da vorne, das scheint Berghausen zu sein. Hier ein Häuschen besitzen und die Abendsonne genießen… Der Guide hält an, zeigt an den Horizont nach Norden. Tatsächlich! Da hinten ist der Kölner Dom zu sehen. Und hier drüben das Siebengebirge, der Große Oelberg. Echt schön hier, und nicht weit weg von Bonn.

Hühnerberg, Quirrenbach – eigenartige Ortsnamen. „Was ist das denn für ein Förderband?“, frage ich den Guide. Er zeigt auf den Berg links von uns, es sei einer der letzten aktiven Steinbrüche im Siebengebirge, das Förderband geht nach unten zur Aufbereitungs- und Verladestation. Überhaupt sei hier früher alles auf die Steinbrüche ausgerichtet gewesen, es habe sogar eine Schmalspurbahn bis nach Rostingen gegeben, dem Ort, der weiter vorne liegt. Der Guide scheint so ein Geschichtsfreak zu sein. Mir sind das zu viele Details, ich muss mich jetzt auf die Abfahrt da vorne konzentrieren. Ah, Kochenbacher Straße.

Kochenbach. War das alles, nur die paar Häuser? Und schon wieder den Berg hoch, verdammt! Der Guide ruft etwas Unverständliches, klingt wie „Freie Fahrt“. Und wieder ist der Trikot-Typ vorne. Dem zeige ich es jetzt mal! Warum bin ich immer noch auf dem großen Blatt? Schalten! So, jetzt aber. Das zieht sich ja ewig, aber der mit seinem 23er kommt wohl auch an seine Grenzen. Ich komme näher, überhole noch einige aus der Gruppe, jetzt nur noch er. Da vorne sind Häuser. Aegidienberg? Rechts , links, jetzt kriege ich ihn! Geschafft! Leichtes Triumphgefühl. Aber was ist das? Es geht immer noch weiter, wir sind noch nicht oben. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, fährt er weiter, und ich glaube einfach stehen zu bleiben. Mensch, schmecke ich Blut aus der Lunge? Jetzt lieber mal langsam machen. Die anderen sind ja noch hinten. Jetzt kommt die Hauptstraße. Wir bleiben stehen. Alle keuchen…

Wieder einige Autos, ein Penny-Markt. Habe ich da nicht mal gestanden und meinen Nachbarn angefeuert, als er von unten beim Bonn-Triathlon hochgekeucht kam? Wir fahren jetzt runter. Boah, das wird aber schnell. Und der Trikot-Typ ist wieder vorne. Kein Wunder, vorne 52-42 und hinten wohl 13, der tritt voll rein. Schöne Ecke hier, könnte das Logebachtal sein, aber ich muss aufpassen. Kurve rechts, Kurve links, das war’s: Der Schwung ist weg, schon wieder wird es zäh. Die Tria-Leute fluchen hier bestimmt auch. Kreisverkehr, da komme ich doch immer mit dem Auto durch. Ittenbach, der ganze Verkehr zur Autobahn. Die Gruppe fährt aber geradeaus, es wird gleich wieder ruhiger. Ganz nett hier, so kleine Ortsteile. Da, am Oelberg scheint es jetzt hoch zu gehen, heißt ja auch so: Oelbergring. Auch eine nette Wohngegend. Verdammt, jetzt zieht plötzlich dieser Lutscher durch, der die ganze Zeit so unauffällig mitgefahren ist. Nicht mit mir, Bürschchen! Schön vorbeiziehen – geschafft!

Margarethenhöhe. Von hier kann es nur noch runtergehen, und zwar ordentlich und lang. Eigentlich kann ich zufrieden sein, überall gut durchgekommen bis jetzt. Da brauche ich auch nicht mehr den Helden bei der Abfahrt zu spielen. Der Guide meint auch, dass wir hier vorsichtig fahren sollen, viel Verkehr. Oh. Sind das schon 50 Sachen auf dem Garmin? Da vorne, ein Blitzer am Straßenrand, Tempo 30-Schild. Wäre doch witzig, hier einmal mit dem Rad geblitzt zu werden…

Königswinter, geile Abfahrt! Ampel, gerade noch den Stopp geschafft. Jetzt flach, und der Guide fährt locker. Neben mir der Trikot-Typ meint, dass seine Campa-Delta-Bremsen doch etwas zu hart in der Abfahrt zugegriffen hätten. Jetzt sehe ich: Das ist ja wirklich ein echter Klassiker aus den 80ern: Stahlrahmen von Concorde, Campagnolo-Record-Gruppe, Mavic-Felgen. Alles super gepflegt. „Ein schönes Rad“, sage ich, „und das Trikot ist wohl auch aus der Zeit, oder?“ Und dann kommt er ins Erzählen: Wie er in seiner Studentenzeit in den 80ern in der Pfalz beim „Grand Prix Weinstraße“ mit seiner Kamera am Start zwischen den Profis herumlief und seine Stars fotografierte, darunter die Leute der holländischen PDM-Mannschaft, Raúl Alcalá, Gert-Jan Theunisse und Sean Kelly. Und dass er vor einigen Jahren dieses Rennrad und einen kompletten Trikot-Satz in Holland gefunden habe – original von PDM 1989.

Wir sind zurück am Campus, fahren aber gleich weiter zum Blauen Affen – und dort reden wir beide noch den ganzen Abend über den Radsport der 80er.

Wollt ihr auch mal die Strecke ausprobieren? Hier auf Komoot sind die Details: https://www.komoot.de/tour/113320946?ref=wtd

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken